Mit Stolz und Dankbarkeit begeht die VKKJ heuer ihr Goldenes Jubiläum. Einer, der seit Beginn vor 50 Jahren dabei war, ist Dr. Christoph Lesigang, der zu Recht von sich sagt: “Ich bin ein Zeitzeuge.” Der engagierte Kinderfacharzt prägte die Gründung der VKKJ als Initiative betroffener Eltern maßgeblich – und schrieb damit ein Stück Medizingeschichte, das für viele Kinder und ihre Familien neue Perspektiven eröffnete.

„Ich wollte etwas Sinnvolles tun“, erinnert sich Christoph Lesigang an seine frühen Jahre an der Universitätskinderklinik Wien. Dort kam er bald auf eine heilpädagogische Station – zunächst durch Zufall, dann aus Überzeugung. Ein Schlüsselerlebnis für ihn war, als er die Arbeit einer Physiotherapeutin beobachtete. Sie wendete eine neue Methode aus London an, die sogenannte Bobath-Methode. Dabei handelt es sich um ein umfassendes Bewegungskonzept zur Rehabilitation von PatientInnen mit Erkrankungen des zentralen Nervensystems.

Was der Kinderfacharzt zusammen mit seiner Kollegin aufbaute, entwickelte sich zur Keimzelle eines ganzheitlichen Ansatzes, bei dem nicht nur das Kind, sondern auch die Eltern miteinbezogen wurden. Doch an der Klinik fand diese Herangehensweise keine Unterstützung. Dr. Lesigang zog daraus die Konsequenzen.
“Nicht reden, sondern handeln”

Die entscheidende Wende für ihn kam bei einem Elternabend mit Angehörigen behinderter Kinder. Zwei der Väter waren sich einig: „Nicht reden, sondern handeln“, lautete ihre Devise. Aus dieser Haltung heraus wurde 1975 die Vereinigung gegründet, die heute als “VKKJ – Verantwortung und Kompetenz für besondere Kinder und Jugendliche” bekannt ist.
Es begann mit Gesprächen, mit der Suche nach Räumlichkeiten, mit Mut und mit Zuversicht. In der Märzstraße im 15. Wiener Bezirk fand sich schließlich ein geeignetes, wenn auch stark renovierungsbedürftiges Gebäude.
Schließlich war es so weit: 1978, drei Jahre nach der Gründung des Vereins, konnte im Beisein des damaligen Bundespräsidenten Dr. Rudolf Kirchschläger das erste Ambulatorium der VKKJ eröffnet werden. Damit war der Grundstein für eine teamorientierte, interdisziplinäre Versorgung besonderer Kinder und Jugendlicher gelegt. Es war der Beginn einer Erfolgsgeschichte, die bis heute andauert.

Früherkennung und Teamarbeit
Doch in den 1970er-Jahren war vieles, was heute Standard ist, noch Pionierarbeit. Christoph Lesigang erinnert sich: „Früherkennung bedeutete für uns, möglichst ab der Geburt mit Maßnahmen zu beginnen – drei Monate danach waren fast schon spät.“
Es ging nicht nur um das Kind, sondern darum, den gesamten Kontext aus Familie, sozialen Bedingungen und Entwicklungspotenzial zu erfassen. Was mit wenigen Kindern in improvisierten Räumen begann, wurde zu einer Bewegung – getragen von Teamarbeit, getragen von Eltern, die mithalfen, weil es sonst niemand tat.
Heute ist das interdisziplinäre Arbeiten ein selbstverständlicher Bestandteil der Betreuung. Doch damals war es ungewöhnlich, dass Physiotherapie, Logopädie, Ergotherapie, Musiktherapie und Psychologie gemeinsam unter einem Dach wirkten – und das eng abgestimmt.
“Die VKKJ hat über Jahrzehnte mitgewirkt, neue Standards zu setzen – oft aus der Not heraus geboren, aber immer mit Blick auf das Kind”, so das Resümee von Dr. Lesigang.

„Es ist noch genug zu tun“ – Darum wird die VKKJ auch in Zukunft gebraucht
Trotz aller Erfolge ist die Arbeit der VKKJ nicht abgeschlossen ist. Vieles hat sich in den 50 Jahren seit der Gründung verbessert: Die therapeutischen Angebote, die fachliche Ausbildung, das gesellschaftliche Bewusstsein. Doch wie geht es weiter?
Dr. Lesigang verweist auf die Bedeutung des Elternvereins:
„Dieser hat politisches Gewicht. Denn wenn Eltern sprechen, wird anders zugehört, als wenn Fachleute es tun.“ Dieses
Prinzip war von Anfang an ein Fundament der VKKJ – und soll es nach Meinung des
Zeitzeugen auch bleiben.
“Hilfe ist da, ja – aber nicht immer dort, wo sie gebraucht wird. Nicht jedes
Kind bekommt, was es wirklich benötigt”, so Lesigang. Er sieht die daraus
resultierende Aufgabe nicht für einzelne Betroffene, sondern für die
Gesellschaft. Aus diesem Grund kann die VKKJ als gemeinnützige Organisation
auch künftig einen Beitrag leisten, der über die reine Therapie hinausgeht.
„Es gibt keinen Grund, warum es die VKKJ nicht weiterhin geben sollte – außer, man glaubt, es ist schon alles erledigt“, sagt Dr. Lesigang. Dass dies ein Irrtum ist, zeigen allein schon die Wartelisten, mit denen unsere Ambulatorien laufend konfrontiert sind.