Als Parcours wird eine Strecke mit vorbereiteten Hindernissen bezeichnet. In der Therapie können diese dazu eingesetzt werden, um verschiedene Fertigkeiten zu fördern. Regina Zehetgruber ist Ergotherapeutin im Ambulatorium Amstetten. In diesem Beitrag berichtet sie über die therapeutische Sportgruppe „Parcouring“.

Ich arbeite seit zehn Jahren im Ambulatorium in Amstetten als Ergotherapeutin. In all diesen Berufsjahren durfte ich viele Kinder und Familien begleiten, manche über einen kürzeren Zeitraum, jedoch auch einige bereits schon jahrelang. Es war auch eine Zeit, in der ich privat die wichtige Rolle von Sport im Leben kennenlernen und selbst erfahren durfte.

In einer Sportgruppe teilzunehmen hat folgende Effekte:

  • Steigerung der Beweglichkeit und motorischen Geschicklichkeit: Hierdurch steigert sich auch die Motivation, Neues auszuprobieren, und man wird im Alltag aktiver.
  • Teil einer Gemeinschaft sein: Das bedeutet gesteigerte Partizipation. In einer Gruppe hat man die Möglichkeit, sich selbst zu entdecken und verschiedene Rollen auszuprobieren. Es ist Raum und Zeit, um neue Freundschaften zu knüpfen, und mit dem sozialen Umfeld zu kommunizieren, gemeinsam an ein Ziel zu kommen oder einfach gemeinsam Spaß zu haben.
  • Steigerung des Selbstwerts und der Selbsteinschätzung: Teil einer Gruppe zu sein, kann positive Gefühle wie Akzeptanz, Wertschätzung, Rücksichtnahme und Vertrauen hervorrufen. Man hat die Möglichkeit, Herausforderungen anzunehmen, an eigene Grenzen zu stoßen und Erfolgserlebnisse zu erfahren.
  • Kilos purzeln: Beginnt man mit regelmäßiger sportlicher Betätigung, so kann dies einen positiven Einfluss auf das Körpergewicht haben. Dies bringt wiederum viele Vorteile für die physische Gesundheit mit sich und stellt eine bessere Voraussetzung für mehr Bewegung im Alltag dar.
  • Mehr Spaß und Freude im Leben haben, da alles leichter geht: Man erfährt Selbstwirksamkeit, da man sich gut spürt und sich aktiv wichtig in einer Gruppe wahrnimmt. Dies nimmt einen wesentlichen Einfluss auf das Kohärenzgefühl und somit auf die allgemeine Gesundheitsförderung des Einzelnen.

Ergotherapeutisch gesehen wirkt es sich auf verschiedenste Komponenten aus:

  • biomechanisch: Die Beweglichkeit wird gesteigert, die Muskeln werden gekräftigt, Steigerung der kardiovaskulären Ausdauer uvm.
  • sensomotorisch: Durch die unterschiedlichsten sensorischen Reize wird auch die Wahrnehmung gefördert. Sowohl in der Propriozeption als auch in der vestibulären und taktilen Wahrnehmung kann man Veränderungen beobachten.
  • kognitiv: Zum Teil werden Handlungs- und Bewegungsabläufe und Regeln gemeinsam vereinbart. Dadurch werden die Merkfähigkeit, das Aufgabenverständnis uvm. gefördert.
  • intrapersonal: Es werden jedes Mal aufs Neue sehr unterschiedliche Bewegungsmöglichkeiten angeboten. Dies fördert die Selbsteinschätzung/ -wahrnehmung, das Selbstvertrauen, die Frustrationstoleranz und die Geduld beim Ausprobieren unterschiedlichster Herausforderungen.
  • Interpersonal: Bei Teamsportarten lernt man, empathisch zu sein. In einer Gruppe wird kommuniziert, geteilt, abgewartet, Rücksicht genommen, zusammengearbeitet uvm.

Diese Komponenten sind natürlich auch für Kinder und Jugendliche, die ins Ambulatorium zu Therapien kommen, wichtig. Für sie gibt es leider oft aufgrund unterschiedlichster Gegebenheiten keine passenden Freizeitangebote. Die Gründe können in der Biomechanik (z. B. motorische Defizite), in der Sensomotorik (z. B. Dyspraxie) oder in der Kognition (z. B. Lernschwierigkeiten) liegen oder intra- und interpersonal (z. B. schüchtern, unsicher, fehlender Selbstwert) bedingt sein.

Aus all diesen Gründen entstand in mir der Wunsch, auch den Kindern und Jugendlichen vom Ambulatorium, die in ihrer Umgebung keine Möglichkeit zu Sport und Gemeinschaft haben, eine Gelegenheit, einen Rahmen dafür zu bieten.

Gruppenphilosophie:

Die Gruppe basiert auf Freiwilligkeit, es soll kein Zwang zur Teilnahme herrschen. Es geht darum, den Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, Teil einer Gruppe zu sein, Spaß zu haben und sich wohl zu fühlen. Es muss nicht an die Leistungsgrenze gegangen werden, die Kinder und Jugendlichen dürfen entscheiden, wie aktiv sie sich einbringen möchten. Sie haben die Möglichkeit, eigene Ideen einzubringen und umzusetzen.

Spiele werden gemeinsam entwickelt, Parcours in verschiedensten Variationen aufgebaut. Mit gemeinsam besprochenen Rahmenbedingungen lässt sich der Ablauf von der Gruppendynamik leiten. Die Aufgabe der TherapeutInnen ist es, vor allem unterstützend für die Kinder und Jugendlichen da zu sein. Dies passiert, indem sie, wenn nötig, bei der Strukturierung der Ereignisse oder Ideenumsetzung helfen, aber vor allem auch durch die positive Bestärkung. Die TherapeutInnen sind aber auch als gleichwertiger Teil des „Teams“ mitten in der Gruppe dabei, probieren aus und spielen mit.

Ablauf:

Gemeinsames Ankommen:
Die Kinder und Jugendlichen finden sich zu Beginn in einem Kreis zusammen. Es geht um ein gemeinsames Ankommen, die eigene Befindlichkeit oder spannende Neuigkeiten aus dem Alltag kurz zu besprechen.

Aufwärmen
Als Nächstes wird aufgewärmt. Die Mitglieder der Gruppe suchen ein Spiel (z.B. Laufspiel) aus und erklären die Regeln. Regeln oder Spielabläufe können auch gemeinsam abgeändert werden, neue Spiele dürfen aus eigenen Ideen entstehen.

Parcoursaufbau und Bewegung mit Freude: In dieser Phase der Gruppenarbeit werden im Turnsaal alle Materialien zur Verfügung gestellt. Die Kinder und Jugendlichen haben nun ihren Freiraum, gemeinsam eine Bewegungslandschaft aufzubauen, gemeinsam Pläne zu schmieden und Wege zu entwickeln. Ziel ist es, einen Parcour aufzubauen, bei dem der Boden nicht berührt werden muss. Es gibt auch einen Rastplatz, bei dem sich die Mitspieler jederzeit eine Pause genehmigen dürfen. In einer kurzen „Teambesprechung“ werden die Rahmenbedingungen festgelegt (Wie heißt die Bewegungslandschaft? „Eiszeit“, „der verrückte Zirkus“, „die Bärenhöhle“, Wo starten wir? Wo ist der Rastplatz? Spezialeffekte, …). Jetzt wird endlich geturnt. Alle (inklusive der TherapeutInnen) probieren die „Stationen“ aus. Sie können so viele Durchgänge machen, wie sie möchten. Es geht – wie schon beschrieben – nicht um die erbrachte Leistung. Es geht darum, Spaß an der Bewegung zu haben.

Reflexion und Abbau: Am Ende der Gruppe wird gemeinsam weggeräumt. In einer kurzen Abschlussrunde werden die Highlights und das Wohlbefinden besprochen, und wir verabschieden uns.

Mit lieben KollegInnen habe ich Verbündete gefunden, die dieses Projekt gestartet haben. Die ersten Rückmeldungen waren bereits so schön, dass mir die Tränen gekommen sind… Wertschätzung, Respekt, ein Miteinander, Freude, Spaß sind nur einige der Werte, die Platz finden in der Zeit.