Seit Jahren nutzt das Ambulatorium Eggenburg der VKKJ den Wald als Therapieraum. In Teil 1 dieses Blogbeitrages berichteten wir, wie sich Outdoorgruppen mit verschiedenen therapeutischen Schwerpunkten die natürlichen Gegebenheiten zunutze machen. Erfahren Sie nun, warum gerade der Wald die therapeutische Arbeit unterstützten kann.
Was den Wald als Therapieraum so besonders macht, sind seine Einzigartigkeit und Vielfalt. Sämtliche Sinne werden angeregt: Es riecht je nach Jahreszeit und Wetter verschieden. Der Boden ist je nach Wegstrecke uneben, feucht oder trocken, weich oder hart, nie ist er gleichförmig. Der Wind streicht über die Haut, gleichzeitig hören wir ihn in den Bäumen singen. Unsere Augen nehmen eine Vielzahl an Farbtönen wahr – vielfältig bis ins Unendliche, und doch alle harmonisch und wohltuend.
Unruhige Kinder können sich auspowern und werden plötzlich achtsamer in ihren Bewegungen, weil glitschiges Holz zum vorsichtigen Gehen auffordert.
Lisa (dieser und alle folgenden Namen wurden geändert), die im Therapieraum Kletterherausforderungen meidet, nutzt während eines Picknicks immer wieder die Möglichkeit, von einem niedrigen Baumstumpf zu hüpfen.
Der Baumstumpf ist einfach da, und niemand spricht eine Aufforderung aus, die unweigerlich zum Rückzug führen würde. Lisa nimmt die sanfte Aufforderung des Waldes an. Umgestürzte Baumstämme oder abgeschnittenen Baumstümpfe bieten motorische Herausforderungen in unglaublich feinen Abstufungen.
Jan und Max erfinden auf einer steilen Böschung verschiedenste Arten der Fortbewegung: von vorsichtigem Gehen mit Festhalten an Bäumen bis zu riskantem, schnellem Rutschen. Die Teilnehmenden inspirieren sich gegenseitig und helfen einander. Anna betastet andächtig verschiedene Steine: rund, glatt, kantig, schwer, ganz schwer…
Erleben von Nähe und Distanz
Auch das Erleben von Nähe und Distanz ist im Wald anders möglich als in einem Therapieraum. Als Gruppe gemeinsam unterwegs gibt es Momente, wo alle zusammenhelfen oder einer den anderen unterstützt. Es ist jedoch auch möglich, ein paar Schritte abseits zu bleiben und wieder Ruhe zu finden, wenn zu viel Nähe überfordernd wird.
Das Wechselspiel von Freiheit und Grenzen ist natürlich gegeben. Kein Pädagoge oder Therapeut kann so klar, natürlich und sinnvoll Grenzen setzen wie die Natur:
Setze ich mich auf einen morschen Ast, bricht er. Erdbeeren schmecken erst gut, wenn sie reif sind. Steige ich ins Wasser, bin ich für eine ganze Weile nass.
Freiheit und Entdeckungen
Der Wald zeigt aber nicht nur Grenzen, er schenkt auch Freiheit und Entdeckungen:
laufen, bis die Puste ausgeht; klettern und springen, so hoch man sich traut; in der Erde graben und Krabbeltiere entdecken; morsches Holz zerbrechen, so kraftvoll man nur kann; mit Steinen und Stöcken Waldmusik machen; lauschen, wie die Vögel zwitschern; liegen und den Himmel beobachten; all das und vieles mehr ist möglich.
Gemeinsam mit den Kindern genießen die TherapeutInnen immer wieder neue, spannende und bereichernde Erlebnisse im Wald. Gut möglich, dass künftig noch weiter Waldgruppen mit neuen Schwerpunkten entstehen.
Der zweiteilige Blogbeitrag basiert auf einem Erfahrungsbericht von Ergotherapeutin Krista Radakovics und weiteren Therapeutinnen aus dem Ambulatorium Eggenburg. Der Artikel ist im Jahresbericht 2017 der VKKJ erschienen und wurde für diesen zweiteiligen Blogbeitrag adaptiert.