Mag. Andreas Steuer lenkt seit 2004 in enger Zusammenarbeit mit dem ehrenamtlichen Vorstand die Geschicke der VKKJ. 2001 begann er seine Tätigkeit in der Vereinigung als administrativer Leiter. Zuvor war er als Führungskraft im Pharmagroßhandel tätig. Im Interview mit VKKJ Aktiv-Blog spricht Andreas Steuer über die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Privatwirtschaft und einer gemeinnützigen Organisation, über seine persönliche Motivation und über Stärken und Ziele der VKKJ.

Was war Ihre Motivation, in die VKKJ zu wechseln?

Ich wollte mich beruflich verändern und suchte eine komplett neue Herausforderung. Besonders wichtig war mir, beruflich etwas Positives bewirken zu können.

Verglichen mit einer Tätigkeit in der freien Wirtschaft und für eine gemeinnützige Organisation: Wo sehen Sie hier die großen Unterschiede?

Ein großer Unterschied besteht in der Zielsetzung der Organisationen. . So spielt in der Privatwirtschaft die Gewinnerzielung neben anderen Zielen immer eine große Rolle. Wobei dies per se nichts Negatives ist, da dies in der freien Wirtschaft die Voraussetzung dafür ist, notwendige Investitionen tätigen, Innovationen entwickeln und Arbeitsplätze garantieren zu können.

In einer gemeinnützigen Organisation steht die bestmögliche Erreichung der gemeinnützigen Ziele immer im Vordergrund. Im Falle der VKKJ ist dies die bestmögliche Betreuung der uns anvertrauten PatientInnen und KlientInnen. Die Arbeit von Menschen für Menschen steht immer im Mittelpunkt der Überlegungen. Technische Lösungen für die Leistungserbringung wie automatisierte Lagerhaltung, um ein Beispiel zu nennen, spielen in der Regel in gemeinnützigen Organisationen keine oder eine sehr untergeordnete Rolle. Hier geht es darum, eine möglichst gute Arbeitsatmosphäre und entsprechende Arbeitsbedingungen für die MitarbeiterInnen zu schaffen, um sie bei ihrer tagtäglichen Arbeit an und mit anderen Menschen bestmöglich zu unterstützen.

Geschäftsführer Mag. Andreas Steuer

Privatwirtschaftliche Unternehmen sind zudem oft hierarchisch aufgebaut.  Gemeinnützige Organisationen sind im Gegensatz dazu in der Regel „Expertenorganisationen“. Hier sind flache Hierarchien und ein teamorientierte Führungsstil gefragt.

Gibt es auch Gemeinsamkeiten zwischen gemeinnützigen Organisationen und privatwirtschaftlichen Unternehmen?

In beiden gilt es, das langfristige wirtschaftliche Überleben sicherzustellen. Gerade bei rein privaten gemeinnützigen Organisationen wie der VKKJ ist dies ebenfalls eine wichtige Aufgabe. Hier gibt es dieselben Grundsätze und Instrumente wie in der Privatwirtschaft. Dazu gehören z.B. die Erstellung und Einhaltung von Budgets, Wirtschaftlichkeitsberechnungen bei Investitionen oder die rechtlichen Vorgaben für die Erstellung von Jahresabschlüssen.

Wenn Sie auf die 45-jährige Geschichte der VKKJ zurückblicken, was ist Ihnen davon besonders in Erinnerung?

Besonders beeindruckend sind Entstehung und Entwicklung der VKKJ. Aus einer Selbsthilfegruppe von betroffenen Eltern ist eine Organisation mit heute zehn Einrichtungen und über 300 MitarbeiterInnen geworden. Das ist eine beispiellose Erfolgsgeschichte. Heute gibt es dafür einen eigenen Begriff, „social entrepreneurship“. Die VKKJ ist in Ihrer Entstehung und Entwicklung für mich dafür ein Paradebeispiel.

Wo sehen Sie Ihre persönlichen Meilensteine in der VKKJ?

Für mich persönlich war die Ernennung zum Geschäftsführer im Jahr 2004 ein besonderes Ereignis. Bis heute bin ich dankbar für das Vertrauen, das mir der Vereinsvorstand hier entgegenbrachte und dies weiterhin tut. Weitere Meilensteine bilden die neuen Ambulatorien in Eggenburg und Neunkirchen, die ich eröffnen durfte. Seither können wir in zwei weiteren Regionen in Niederösterreich die medizinisch-therapeutische Versorgung besonderer Kinder und Jugendlicher sicherstellen. Besonders freut es mich auch, dass wir 2020 unser Autismuszentrum im Ambulatorium Sonnwendviertel in Wien in Betrieb nehmen konnten.

Wenn Sie auf den Beginn Ihrer Zeit bei der VKKJ zurückblicken: Was hat sich im Vergleich dazu bis heute geändert?

Als ich 2001 bei der VKKJ begann, befanden wir uns in einer wirtschaftlich eher angespannten Situation. Ich bin froh sagen zu können, dass sich die VKKJ heute in einer stabilen wirtschaftlichen Lage befindet, und wir hier  beruhigt in die Zukunft blicken können – auch aufgrund der guten Zusammenarbeit mit unseren Auftraggebern: den Sozialversicherungsträgern, allen voran die Österreichische Gesundheitskasse, dem Fonds Soziales Wien und der Sozialabteilung des Landes Niederösterreich.

Was rückblickend besonders auffällt, ist die Entwicklung der VKKJ. 2003 beschäftigte die Vereinigung 177 MitarbeiterInnen, heute sind 310 KollegInnen für unsere Organisation im Einsatz. Im gleichen Zeitraum stieg die Anzahl der betreuten PatientInnen pro Jahr von 5.707 auf 7.147 im Jahr 2019. Die Zahl der im Tageszentrum betreuten KlientInnen stieg von 26 im Jahr 2003 auf nunmehr 40 KlientInnen. Dieses Wachstum ist erfreulich, weil es den hohen Bedarf an unserem Angebot zeigt. Es stellt aber auch eine besondere Herausforderung an die Organisation dar.

Geändert haben sich auch Behandlungsmethoden. Neue, innovative Betreuungskonzepte für unsere PatientInnen und KlientInnen wurden entwickelt bzw. in unser Leistungsspektrum aufgenommen. Dies ist auch ein für die VKKJ sehr wichtiger Punkt, nämlich in der Betreuung immer „state of the art“ zu bleiben. Andererseits haben sich auch die Anforderungen und Vorschriften für den Betrieb von Krankenanstalten und des Tageszentrums seit Beginn meiner Tätigkeit bei der VKKJ merklich erhöht.

Eine weitere besonders wichtige Entwicklung waren Veränderungen in der Organisation der VKKJ. Auch eine Organisation durchlebt sogenannte Lebenszyklen. So auch die VKKJ in den vergangenen 45 Jahren. Ausgehend von der Pionier- od. Gründungsphase in der 2. Hälfte der 1970er Jahre entwickelte sich die VKKJ weiter und wuchs (wie bereits oben kurz ausgeführt) stetig. So durchlebte unser Verein eine deutliche Wachstums- od. Differenzierungsphase und befindet sich aktuell an der Schwelle zur bzw. bereits in der Reife- bzw. Integrationsphase. Hier ist es besonders wichtig, auch die interne Struktur rechtzeitig sowohl an die Größe als auch an die aktuelle Phase im Lebenszyklus einer Organisation anzupassen. Diesen wichtigen Schritt unternahm die VKKJ im Jahr 2013 mit einem Umstrukturierungsprozess, in dessen Verlauf unter anderem mit der Gründung zweier gemeinnütziger GmbHs neue Strukturen für die VKKJ geschaffen wurden. Gleichzeitig wurden aber auch bewährte, bestehende Strukturen wie der Verein VKKJ (als alleiniger Eigentümer der beiden gemeinnützigen GmbHs) erhalten. Dies war für die langfriste Ausrichtung der VKKJ ein wichtiger Schritt, um unsere Organisation einerseits an die aktuellen Gegebenheiten anzupassen und sie andererseits auch für die Zukunft „fit“ zu machen.

Wie schafft es die VKKJ, ihren Innovationsgeist auch 45 Jahre nach der Gründung fortzuführen?

Grundlegend gilt es hier, ein Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem neue Ideen entwickelt und auch umgesetzt werden können. Hier kommt den Teams unter der Führung der ärztlichen LeiterInnen und der Leiterin unseres Tageszentrums eine große Bedeutung bei der Entwicklung und Umsetzung von neuen therapeutischen Ansätzen für unsere PatientInnen sowie neuer Ideen für die Betreuung unserer KlientInnen zu.

Eine wichtige Rolle spielt hier seit Jahren auch unsere „VKKJ-Akademie“. Hier werden unseren MitarbeiterInnen maßgeschneiderte Fortbildungen in Hinblick auf ihre Tätigkeit angeboten. Zu den Vortragenden gehören auch MitarbeiterInnen der VKKJ, wodurch ein Wissenstransfer innerhalb der gesamten Organisation gewährleistet ist.

Was sind die großen Herausforderungen für die Zukunft?

In der Betreuung der PatientInnen erkennen wir die Tendenz, dass die Fälle immer komplexer werden und daher auch mehr Ressourcen für eine optimale Betreuung und Behandlung notwendig machen. Darüber hinaus gewinnt die Einbeziehung des sozialen Umfelds immer mehr an Bedeutung. Dies bedeutet jedoch einen vermehrten Zeitaufwand für Abstimmungen mit eben diesem Umfeld, wie z.B. Eltern, Schule, Kindergarten etc. Hauptfaktoren für die Zunahme der Betreuungskomplexität in den letzten Jahren liegen in den externen Rahmenbedingungen, dem Herkunfts- und Helfersystem der Kinder und Jugendlichen.  Ein umfangreiches Helfersystembenötigt auch einen erhöhten Kommunikationsaufwand. Auch die technologischen Rahmenbedingungen haben sich geändert. All dies bedeutet, dass mehr Zeit für Tätigkeiten abseits der unmittelbaren oder direkten Arbeit mit dem Patienten aufgebracht werden muss. Dies wird uns mit den gegebenen Zeitressourcen vor immer größere Herausforderung stellen. Dieses Problem gilt es gemeinsam mit unseren Auftraggebern zu lösen.

Ein weiteres Thema, das uns jetzt schon betrifft, aber uns auch in der Zukunft beschäftigen wird, ist der vorherrschende Ärztemangel, gerade in jenen Fachrichtungen, die für unsere Ambulatorien von großer Bedeutung sind. Hier arbeiten wir bereits daran, im Rahmen der Personalentwicklung und des Recruitings neue Wege zu finden.

Welche Rolle spielen neue Möglichkeiten wie Online-Beratung oder Telemedizin?

Gerade die Corona-Pandemie zeigt uns, wie wichtig es ist, auch hier neue Wege zu beschreiten. Wenn es PatientInnen nicht möglich ist, in die Einrichtungen zu kommen, können über die digitale Schiene der Kontakt und die Betreuung in bestimmten Fällen aufrechterhalten werden. Wobei aber festzuhalten ist, dass die Telemedizin oder Online-Therapie nicht den Besuch im Ambulatorium und die persönliche Betreuung in unseren Einrichtungen ersetzen kann. Sie kann aber unter bestimmten Voraussetzungen eine sinnvolle Ergänzung bzw. eine wertvolle Unterstützung der Betroffenen darstellen, wenn diese persönliche Betreuung für eine gewisse Zeit nicht möglich sind.

Welche Rahmenbedingungen sind erforderlich, damit die VKKJ ihre erfolgreiche Arbeit für die PatientInnen, KlientInnen und deren Angehörige fortsetzen kann?

Es ist wesentlich, dass die Betreuung von Menschen mit Behinderung- in Einrichtungen wie unserem Tageszentrum sowie die medizinisch-therapeutische Behandlung von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Entwicklungsverzögerungen, Entwicklungsstörungen und Behinderungen weiterhin ein gesellschaftliches und politisches Anliegen in Österreich bleiben. Es stimmt aber zuversichtlich, dass diese Themen immer besser in offiziellen gesellschaftspolitischen Zielsetzungen verankert und veröffentlicht werden.

Außerdem komme ich in meiner Funktion als Geschäftsführer natürlich bei diesem Punkt nicht am Thema Finanzierung vorbei. Es für die Aufrechterhaltung unserer Einrichtungen und vor allem unserer interdisziplinären Arbeitsweise von besonderer Bedeutung, dass auch in Zukunft die Co-Finanzierung unserer Ambulatorien durch Sozialversicherungsträger und Bundesland sichergestellt ist.

Ein weiterer Punkt wäre, dass der Stellenwert der Arbeit im Sozial- und Gesundheitsbereich einen höheren Stellenwert bekommt. Nur so ist nämlich sichergestellt, dass wir auch weiterhin engagierte und gut qualifizierte MitarbeiterInnen finden, wie wir sie aktuell in allen Bereichen der VKKJ glücklicherweise haben. Sie haben die 45-jährige Erfolgsgeschichte der VKKJ erst möglich gemacht.